Im Jahr 2022 ist die Zahl neuer Auszubildender im Handwerk gesunken. Bis Ende Dezember 2022 waren 129.037 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen worden. Im Vergleich zum Vorjahr verzeichneten die Handwerkskammern ein Minus von 3.092 neu eingetragene Ausbildungsverträge. Das entspricht einem Rückgang von 2,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im Vor-Corona-Jahr 2019 wurden 138.769 Ausbildungsverträge abgeschlossen.
Die vom Zentralverband deutsches Handwerk (ZDH) herausgegebenen Zahlen treffen auch die Reifenbranche. In 2022 fiel die Zahl der Auszubildenden im Ausbildungsberuf 'Mechaniker/in für Reifen- und Vulkanisationstechnik' um 5,7 Prozent auf insgesamt 260 Ausbildungsverträge. Im Jahr 2006 waren es noch 438 Auszubildende. Die Anzahl der Ausbildungsbetriebe ist ebenfalls gesunken. Wurden 2006 noch 220 Ausbildungsstätten gezählt, so hat sich die Zahl der Ausbildungsstätten auf 163 reduziert, was laut Angaben des ZDH ein Minus von 7,4 Prozent ergibt. Eine weitere Zahl lässt die Dimension der niedrigen Ausbildungszahlen erkennen. Im BRV sind 3.080 Betriebe mit 4.366 Point of Sales angeschlossen.
Setzt die Reifenbranche Ihre Zukunft aufs Spiel?
Ein Kommentar von Chefredakteur Olaf Tewes: Die obige Meldung vom Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV) entlockt den Brancheninsidern nur noch ein müdes Lächeln. „So ist das eben heute“, werden sich viele Beteiligte sagen. Aber so kann und darf es nicht weitergehen!
Schon vor der Corona-Pandemie fehlten Fachkräfte und wurden Auszubildende fast nur noch mit einem Abitur oder Fachabitur ausgewählt und eingestellt. Das hat sich mittlerweile grundlegend geändert. Heute wären viele Betriebe froh, wenn sich Auszubildende mit Realschul- oder Hauptschulabschluss bewerben würden.
Die Reifen- und Räderbranche hat einen weiteren Fehler begangen, indem sie die eigene Ausbildung von fachlich versierten Arbeitskräften nur widerwillig vorgenommen hat. Die schwindende Zahl der Ausbildungsstellen ist ein Indiz für diese Sichtweise. Lediglich 163 Ausbildungsbetriebe sind ein Armutszeugnis für eine Branche, die sich gerne als Mobilitätsdienstleister sieht.
Aber noch viele entscheidender ist das fehlende Image der Reifenbranche. Welcher Jugendliche weiß heute noch, was ein Vulkaniseur ist und welche Aufgaben er hat? Außerdem stellt sich auch die provozierende Frage, ob Berufsberater den „Vulkaniseur“ überhaupt noch kennen und in ihrem Portfolio führen? Meine Meinung ist, dass beide genannten Gruppen über wenig bis gar keine Kenntnisse über das Berufsbild des Vulkaniseurs haben. Die Imagepflege wurde durch die Branche gänzlich vernachlässigt. Der Reifenhandel hat es sich zu leicht gemacht und auf seine „eigene kaufmännische Attraktivität“ vertraut.
Zudem stellt sich die Frage, ob der Reifenfachhandel überhaupt Vulkaniseure braucht, da in der Regel am Liebsten nur Neureifen für Pkw und SUV verkauft werden? Wie werden zukünftig Reifenfachhändler in den Segmenten Nutzfahrzeug-, Ackerschlepper- und Earth Mover-Reifen arbeiten? Hier werden qualifizierte Fachleute benötigt, die mit Ihrer Expertise die Effizienz der eingesetzten Reifen maßgeblich beeinflussen können.
Wir sind der festen Überzeugung, dass es ohne Vulkaniseure einen zukünftigen, leistungsfähigen Reifenfachhandel nicht geben wird. Die Aufgaben des Vulkaniseurs sind vielfältig und werden in Zeiten der Ressourcen- und Klimaschonung immer wichtiger. Wer soll Reifen fachmännisch beurteilen? Wer soll runderneuerte Reifen produzieren oder Reifenreparaturen durchführen? Der kaufmännische Reifenfachhändler wird das immer weniger anbieten können, weil es die dafür notwendigen Fachleute nicht mehr gibt.
Es wird Zeit für eine breit angelegte Ausbildungsinitiative mit einer noch breiteren Imagekampagne in allen Bundesländern. Der Ausbildungs-Award des BRV kann nur ein kleiner Schritt sein. Gefragt sind nachhaltige Lösungen, die die handwerklichen Fähigkeiten im Reifenfachhandel fördern. Hier ist auch der BRV gefragt. Die Branche sollte sich auf ihre eigenen Fähigkeiten verlassen und ihre Interessen selbstbewusst wahrnehmen.