Mit großer Aufmerksamkeit werden aktuell die Sommerreifentests nicht nur hinsichtlich der allgemeinen Performance- und Leistungswerte in den relevanten Disziplinen verfolgt, sondern auch bezüglich potenzieller Abweichungen zu den von den Herstellern ausgewiesenen Labeldaten. Kein Medium benennt explizit Verstöße in der Kennzeichnung, die Gegenüberstellung der Testredaktionen von gemessenen Werten und Labelwerten wirft in einigen Fällen jedoch Fragen auf und verdeutlicht Verbesserungspotenzial auf mehreren Ebenen.Im aktuellen Test der AutoZeitung beispielsweise weisen die "A"-gelabelten Reifen Pirelli Cinturato P7 und Michelin Primacy 3 einen längeren Bremsweg auf nasser Piste auf wie der „B“-gelabelte NokianLine. Auf Nachfrage von AutoRäderReifen-Gummibereifung bestätigt die Redaktion der AutoZeitung, dass die Testbedingungen aus technischen Gründen nicht zu 100 Prozent den Labelbestimmungsbedingungen entsprechen konnten. "Wegen eines engen Test-Zeitfensters und variierenden Witterungsbedingungen ist es Fachzeitschriften nicht immer möglich, den Nassgriff eines Reifens zusätzlich zum regulären Mess-Programm auch hundertprozentig nach Label-Vorgaben zu überprüfen. Trotzdem erreichten in unserem letzten Sommerreifen-Test fast alle Profile die vom Hersteller angegebene Nassgriff-Klasse. Kleine Abweichungen kann man aufgrund von Umwelteinflüssen nie ganz ausschließen", erklärt Reifentester Paul Englert.
In diese Richtung zielt auch eine Stellungnahme seitens Pirelli: "Der Reifen ist wiederholt bei internen Tests gemäß der Vorgaben und Methodik für das EU-Label geprüft worden. Es wird bestätigt, dass der Reifen in der Kategorie Nasshaftung die EU-Labelwertung `A` erreicht. Bei Tests auf anderen Teststrecken können geringfügig differierende Resultate erreicht werden, insbesondere wenn die Testmethodik des EU-Labels nicht präzise angewandt wird." In ähnlicher Weise erklären die Michelin-Verantwortlichen die Abweichungen: „Schon kleine Unterschiede in der Messmethodik der AutoZeitung können zu Abweichungen bei den Resultaten führen. Auch die äußeren Testbedingungen wie beispielsweise Temperatur und Wasserhöhe auf der Strecke können innerhalb der Toleranzen des EU-Labels zu deutlichen Messunterschieden führen und den Vergleich unterschiedlicher Messungen miteinander erschweren.“
Der Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie e. V. (wdk) mahnt seinerseits zur Vorsicht bei der Beurteilung von Abweichungen. „Die Kritiker des Reifenlabels stürzen sich zu Unrecht auf nun gemessene Abweichungen, die zwischen zwei Label-Klassen liegen“, erklärt Boris Engelhardt Hauptgeschäftsführer des wdk. „Eine Varianz ist unvermeidbar und gesetzlich zulässig. Reifentests finden im Regelfall eben nicht unter identischen Laborbedingungen statt." Nur dort, wo Abweichungen zwischen Labelwerten und Testmessungen über mehrere Einstufungsklassen hinweg sichtbar würden, stelle sich die Frage nach einer Fehlkennzeichnung und deren Ursachen. Um den Verbraucher zu schützen, dränge der wdk auf die Einführung einer wirksamen Marktüberwachung durch die Bundesländer. "Die seit dem 1. November 2012 geltende Pflicht-Kennzeichnung von Reifen erfolgt nach unseren Beobachtungen durch die europäischen Premium-Hersteller in absoluter Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorgaben. Die aktuell vorgelegten Reifen-Testergebnisse privater Testorganisationen sind für uns keine Überraschung“, so Engelhardt weiter.
Die EU-Reifen-Kennzeichnungsverordnung legt die Bedingungen fest, unter denen die drei Labelwerte für Energieeffizienz, Geräuschentwicklung und Nassbremsverhalten ermittelt werden. Da die entsprechenden Tests ganzjährig und in allen Teilen Europas durchführbar sein müssen, wird gesetzlich für die Test-Rahmenbedingungen eine Bandbreite definiert. Dies betrifft die Fahrbahn oder auch die Umgebungstemperatur. „Aus meiner Sicht übersehen die Kritiker des Reifenlabels die große Bedeutung der neuen Reifen-Kennzeichnung für eine an der Qualität orientierte Kaufentscheidung der Verbraucher. Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Sicherheit sind Kriterien, die durch das Reifenlabel transparent gemacht werden. Qualitätsreifen sind technisch hoch entwickelte Produkte. Das einzige Bindeglied zwischen Fahrzeug und Straße. Das Label hilft jedem Verbraucher, Qualitäten für seine individuelle Reifengröße zu unterscheiden. Beherrschbare Alternativen zur aktuellen Kennzeichnung haben deren Kritiker bisher nicht vorgelegt“, bezieht Engelhardt Stellung.
Ob Kritiker oder nicht - das Reifenlabel lässt sich nicht mehr wegdiskutieren. Sehr wohl allerdings lässt sich an der weiteren Ausgestaltung und Überprüfbarkeit arbeiten. Die Akzeptanz des Labels bei der Käuferschaft und im Handel wird im Prozess der weiteren Ausdifferenzierung und medialen Beobachtung wachsen. Das Label soll beim Verbraucher für Transparenz sorgen und eine Beurteilungshilfe sein. Für den Reifenhandel bietet das Label gerade in der jetzigen „Label-Eingewöhnungsphase“ die Möglichkeit, seine Kernkompetenz zu dokumentieren. Das Label kann ein Baustein sein, das Profil des Reifenfachhandels zu schärfen und seine Stärken dem Kunden gegenüber deutlicher vor Augen zu führen.
(kle)