Angesichts der weltweiten Auswirkungen der Klimakrise rückt das Modell der Circular Economy in vielen Branchen mehr und mehr in den Blickpunkt. Ziel dieses Ansatzes ist es, Produkte und Rohstoffe längstmöglich zu nutzen und zugleich Abfälle und Umweltbelastungen durch Reparatur, Aufbereitung oder Wiederverwertung recycelter Rohstoffe zu minimieren. Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ist nach Überzeugung der Verantwortlichen der Allianz Zukunft Reifen (Azur) auch in der Reifenbranche möglich. Dies gelinge jedoch nur durch eine konsequente Runderneuerung gebrauchter Reifen.
„Die deutliche Steigerung der Marktanteile runderneuerter Reifen in Europa kann einen wichtigen Beitrag zum Erreichen der Nachhaltigkeits-Ziele des europäischen Green Deal leisten. Zumal die Runderneuerung eine KMU-geprägte Branche mit kurzen Lieferketten und hoher regionaler Wertschöpfung ist“, heißt es seitens des Azur-Netzwerks. In diesem Zusammenhang wird auch die Studie des Fraunhofer-Instituts UMSICHT verwiesen, wonach jeder runderneuerte Lkw-Reifen rund 135 Kilogramm weniger CO2-Emissionen als ein Neureifen verusacht. Eine Verdoppelung des Marktanteils runderneuerter Lkw-Reifen in Europa – auf rund 8,5 Millionen Stück – würde nach Azur-Angaben die CO2-Emissionen Europas um mehr als eine Million Tonnen senken.
Sinkender Marktanteil trotz „konkurrenzfähiger Performance“
Aktuell ist in Europa bei runderneuerten Reifen jedoch ein gegensätzlicher Trend zu verzeichnen. Laut der European Tyre & Rubber Manufacturers‘ Association (ETRMA) sank die Zahl der in Europa (ohne die Türkei) runderneuerten Lkw-Reifen im Jahr 2022 um 6,2 Prozent auf 4,29 Millionen Stück – 2007 waren es noch 5,81 Millionen. Darüber hinaus stürzte der europaweite Marktanteil runderneuerter Lkw-Reifen von 34,2 Prozent im Jahr 2012 auf 20,1 Prozent im Jahr 2022 ab. „Die Bedeutung der Runderneuerung nimm in Europa weiter rapide ab, was nicht nur Klima und Umwelt bedroht, sondern auch Unternehmen und Arbeitsplätze“, warnt Azur.
Bedingt unter anderem durch die Marktüberflutung mit Importreifen aus Fernost stagniere zudem der Marktanteil runderneuerter Pkw-Reifen bei rund einem Prozent, heißt es in einer Mitteilung der Allianz weiter. In Anbetracht der Tatsache, dass in Europa runderneuerte Reifen mit derselben Qualität, Sicherheit und Laufleistung wie vergleichbare Neureifen klare ökologische Vorteile böten, sei dies eine fatale Entwicklung. „Damit bedroht der Billig-Reifenimport das Gelingen der ökologischen Transformation im Transportwesen und erfordert sofortiges Handeln von Seiten der EU-Legislative“, so die Azur-Verantwortlichen.
EU-Schutzzölle umgangen
Einer derartigen Forderung nach politischer Unterstützung kam die Europäische Union im Jahr 2017 nach. Antidumping- und Anti-Korruptionszölle auf Reifenimporte aus China führten zu einem drastischen Importeinbruch und bescherten runderneuerten Lkw-Reifen in Europa ein kurzes Zwischenhoch. Die Einfuhr von Lkw-Reifen aus China in die EU ging von 2017 auf 2019 um rund 75 Prozent auf unter eine Million zurück und bleib auch in der Folge in etwa auf diesem Niveau.
Nichtsdestotrotz erreichte die Gesamtzahl der Lkw-Importreifen in Europa nach Angaben von Azur 2022 mit 5,59 Millionen Stück einen neuen Höchststand. Damit übertraf der Import die Zahl runderneuerter Lkw-Reifen (4,29 Millionen) deutlich. „Das lag aus Expertensicht daran, dass die Strafzölle der EU und der Nachteil zollerhöhter Markteintrittskosten durch eine massive Verlagerung von Produktionskapazitäten aus China in benachbarte asiatische Staaten umgangen worden ist“, erläutert Azur und verdeutlicht die drastische Verschiebung der Marktverhältnisse anhand von Zahlen: „Im Jahr 2012 kamen auf 100 von Nicht-ETRMA-Mitgliedern importierte Lkw-Neureifen noch 360 in Europa runderneuerte Reifen. Im Jahr 2022 verschlechterte sich das Verhältnis auf 77 runderneuerte Lkw-Reifen gegenüber 100 Nicht-ETRMA-Importreifen.“
Mit Blick auf die weltweiten Klimakrise ist angesichts dieser Entwicklung nach Meinung von Azur sofortiges Handeln von Seiten der Politik gefordert. Es müssten schnellstmöglich Maßnahmen zur Unterstützung der nachhaltigen Runderneuerung ergriffen werden. Dafür hat die Allianz vier konkrete Vorschläge:
- Alle in der EU zugelassenen Neureifen müssen runderneuerungsfähig sein
- Die öffentliche Hand muss runderneuerte Reifen bevorzugt einsetzen
- Runderneuerte Reifen dürfen nicht mehr von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden
- Fuhrpark- und Flottenbetreibern muss der Einsatz von runderneuerten Reifen über eine staatliche Subventionierung erleichtert werden