Bigger is better, sagt der Amerikaner. Weniger ist mehr, sagt der Deutsche. Bei der Road King Special trifft beides zusammen. Der Amerikaner, und nicht nur der, freut sich über den größten Harley-Motor aller Zeiten, den Milwaukee Eight mit 114 Cubicinch, was einem Hubraum von genau 1868 Kubikzentimetern entspricht. Der leistet auf Euro 5 getrimmt 94 PS und stemmt ein sattes maximales Drehmoment von 158 Nm bei 3250 Touren auf die Kurbelwelle. Da muss sich der Reiter einer Road King in der Standardvariante mit etwas weniger zufrieden geben, nämlich 107 Cubicinch (1745 cm³) Hubraum und 84 Pferdchen.
Dafür freut sich dieser über reichlich Chrom, tourentaugliche Kunststoffkoffer, die obendrein mit Sturzbügeln gesichert sind, zwei Zusatzscheinwerfer sowie ein abnehmbares Windschild. Darauf muss nun wiederum der Special-Treiber verzichten. Der gehört eher zu den Coolen im Lande, mag den reduzierten Bagger-Style: Schwarz statt Chrom, ein Scheinwerfer, schmale Koffer, eine flache Silhouette. Dass Harley-Davidson dieses Motorrad in der Kategorie Grand American Touring verortet, wundert schon ein wenig. Wir hätten die Special eher bei den Cruisern einsortiert.
Grand American Touring
Dafür spricht auch das größere Vorderrad – 19 statt 18 Zoll kommen zum Einsatz. Montiert ist ein Niederquerschnittsreifen im Format 130/60, dessen Eigendämpfung geringer ist als bei der Standardbereifung. In Kombination mit einem nicht gerade üppigen Federweg ergibt das einen – sagen wir mal – ziemlich direkten Kontakt zur Straße. Langstreckenkomfort ist anders. Bei unserer Testmaschine kam hinzu, dass der vorherige Tester wohl einige Kilo mehr auf die Waage gebracht hat und entsprechend die Federbasis hinten zudrehte. Die Folge waren harte Schläge ins Kreuz bei jeder Querfuge. Also Koffer weg, am Handrad gedreht, dann gab zumindest die Hinterhand Ruhe. Vorne muss man die Telegabel nehmen wie sie ist. Serienmäßig montiert sind speziell für Harley-Davidson gebaute Dunlop D 407 (hinten) und D 408T (vorne). Weil Harley von seinem Reifenlieferanten primär eine hohe Laufleistung verlangt, kommen wir zu dem für Harley-Erstbereifungen üblichen Urteil: Bei Trockenheit bieten die Dunlops genügend Grip, bei Nässe allerdings erwiesen sich die Pneus als wenig vertrauenserweckend.
Ein Glück, dass es während unseres Tests mehrheitlich trocken war. Und dann macht die Road King Special auch richtig Spaß. Für ihre gut sieben Zentner Lebendgewicht gibt sie sich durchaus behände und lässt sich engagiert über kurvige Sträßchen treiben. Im engen Geschlängel erreichen wir aber schnell den Zeitpunkt, bei dem die Trittbretter auf dem Asphalt kratzen. Weil letztere aber beweglich aufgehängt sind, bringt uns das nicht aus dem Gleichgewicht.
Fahrsicherheit
Ein ganzes Bündel an elektronischen Assistenzsystemen sorgt für mehr Sicherheit. Mit an Bord sind unter anderem Kurven-ABS, Antriebsschlupfregelung, Traktionskontrolle und ein Hill-Holder. Der ist beim Anfahren am Berg höchst angenehm. Ebenso wie es der Tempomat auf der Autobahn ist. Wobei die nicht das natürliche Umfeld einer Road King Special ist. Denn der mächtige Bullhorn-Lenker ermöglicht zwar eine sehr angenehme, aufrechte Sitzposition, dafür zieht der mit der Geschwindigkeit wachsende Winddruck die Arme lang. Abhilfe würde hier eine Windschutzscheibe aus dem Originalzubehör (ca. 450 Euro) schaffen, die bei der Standard Road King Serienausstattung ist. Bei einem Preis von 23.995 Euro sollte die Windschutzscheibe normalerweise im Preis enthalten sein.
So fahren wir eben langsamer. In Kombination mit der neuen Motorabstimmung, die für Euro 5 notwendig wurde, ergibt das einen Durchschnittstestverbrauch von 5,3 Liter auf 100 Kilometer. Bei einem Tankinhalt von 22,7 Litern lädt die Harley demnach nach knapp 400 Kilometern zur Kaffeepause ein. Die Road King Classic mit Euro-4-Motor, die wir hier auch schon vorstellten, brauchte seinerzeit im Durchschnitt fast einen Liter mehr. Die Road King Special ist mit einem Gewicht von 366 Kilogramm eine stattliche Erscheinung. Bei Bedarf kann die Maschine auf eine Höchstgeschwindigkeit von 175 km/h beschleunigt werden.
Ist weniger nun mehr? Lassen Sie es uns so formulieren: Als ambitionierte Tourenfahrer verzichten wir lieber auf Höchstleistung als auf Langstreckentauglichkeit und Komfort. (mh)