Auf den ersten Blick könnte man den Eindruck gewinnen, Elektrofahrzeuge kommen so gut wie ohne Service aus, Reparaturen lassen sich mit dem Multimeter diagnostizieren und entsprechend gering fällt der Aufwand für die Werkstattausrüstung aus. Doch stimmt dies so? Die Antwort lautet: nein. In der Praxis sieht es nämlich anders aus. Der Bundesverband der Hersteller und Impor-teure von Automobil-Service-Ausrüstungen e.V. (ASA) und seine Mitgliedunternehmen begleiten die E-Mobilität und ihre Auswirkungen und Anforderungen auf die Werkstattausrüstung, seit der erste Toyota Prius in der freien Werkstatt landete – also seit mehr als 20 Jahren.
Die Fachleute wissen: Das Knowhow um die Behandlung der mit der neuen Antriebstechnologie ausgestatteten Fahrzeuge in der Werkstatt wächst von Jahr zu Jahr exponentiell. Dennoch gibt es noch immer viele Service- und Reparaturanwendungen, in denen Graubereiche und Unklarheiten beim Umgang mit der Technik bestehen. Auch, weil teilweise klare Vorgaben des Gesetzgebers oder präzise Reparaturleitfäden der Automobilhersteller fehlen und Standardisierungen von Service- und Reparaturarbeiten nach wie vor die Ausnahme sind und sich von Hersteller zu Hersteller unterscheiden können.
„Praktisch jedes Mitgliedsunternehmen in unserem Verband ist direkt oder indirekt mit dem Thema E-Mobilität befasst, bietet spezielle Produkte oder Services für E-Fahrzeuge. Themen rund um E-Mobilität ziehen sich durch alle Fachbereiche des Verbandes“, so Frank Beaujean, Präsident des Werkstattausrüsterverbandes. Als ein Beispiel sei hier das Anheben der Fahrzeuge in der Werkstatt genannt. E-Fahrzeuge sind in der Regel mehrere 100 Kilogramm schwerer als vergleichbare Verbrennerfahrzeuge. Wer E-Autos repariert, muss also Hebebühnen mit deutlich höheren Tragkräften nutzen. Zudem ist die Gestaltung der Tragarme ein wichtiges Kriterium; denn bei den meisten E-Fahrzeugen ist der Akku, sozusagen der „Tank“, als tragendes Teil der Karosserie in den Unterboden integriert. Säulen und Tragarme müssen so ausgestaltet sein, dass der Akku im angehobenen Zustand des Fahrzeugs leicht aus- und wieder einzubauen ist. Problematisch für Hebebühne-Hersteller ist hier, dass bei manchen E-Fahrzeugen die Hebepunkte für das Ansetzen der Tragarmteller nicht definiert sind. Das Wissen um die genauen Hebepunkte bewahrt die Werkstatt bei Reparaturen vor Beschädigungen des Akkugehäuses und der Batteriemodule.
Gefahr durch Akkus
Darüber hinaus besteht das Problem, dass von beschädigten Akkus eine besondere Gefahr ausgeht. Chemische Reaktionen im (beschädigten) Akku können auch dann noch ablaufen, wenn das Fahrzeug längst außer Betrieb gesetzt wurde. Die schlagartige Entladung einzelner Batteriezellen, beispielsweise durch Kurzschluss, kann zu einer sprunghaften Temperaturerhöhung im Akku bis hin zur Selbstentzündung führen. Experten empfehlen darum dringend, Arbeitsplätze für Elektrofahrzeuge immer in der Nähe der Werkstatttore zu installieren. So kann im Fall eines Brandes das Fahrzeug noch aus der Werkstatthalle gezogen werden, bevor die Flammen auf das gesamte Gebäude übergreifen.
Fahrzeuggewicht beeinflusst Reifenservice
Das hohe Fahrzeuggewicht von E-Fahrzeugen beeinflusst auch den Reifenservice in der Werkstatt, insbesondere beim Radauswuchten und beim Reifenwechsel. „Höheres Fahrzeuggewicht bedeutet höhere Radlasten, teilweise 100 bis 150 Kilo mehr Fahrzeuggewicht pro Rad als bei einem vergleichbaren Verbrennerfahrzeug,“ so Bernhard Hoffmann, Leiter des ASA-Fachbereichs Reifenservice und Achsvermessung. Die Folge: Auch Bremsen- und Felgendurchmesser steigen an. Größere Räder bedeuten ebenfalls mehr Gewicht pro Rad und erhöhen die körperliche Belastung der Mitarbeiter bei Rad-Montage und Wuchtarbeiten. Beim Wuchten ist eine weitere Besonderheit zu beachten. „Reifen müssen aerodynamisch optimiert werden. Somit gibt es keine Felgenhörner für Einschlaggewichte; Auswuchten erfolgt nur durch die Verwendung von Klebegewichten“, so Hoffmann weiter.
Bei der Reifenmontage ist zudem die gleiche Sorgfalt erforderlich wie bei der Montage von UHP- und Runflat-Reifen. Steifere Seitenwände sollen die Belastungen durch höhere Fahrzeuggewichte kompensieren und E-Fahrzeugen Fahrstabilität geben. „Dabei ist ein Zielkonflikt, dass Fahrzeuge aufgrund des höheren Drehmoments Reifen beim Beschleunigen deutlich stärker belasten, als ein Verbrennerfahrzeug“, sagt Bernhard Hoffmann. (akl)