Im 1. Halbjahr 2023 haben 8.400 Unternehmen Insolvenz angemeldet und damit deutlich mehr als im Vorjahreszeitraum. Das sind 16,2 Prozent mehr als im 1. Halbjahr 2022 (7.230 Fälle). Eine höhere prozentuale Zunahme gab es im Vergleichszeitraum zuletzt 2002. „Die enormen Kostenbelastungen durch zu hohe Energie- und Materialpreise zeigen Wirkung. Nach Jahren sinkender Insolvenzzahlen hat sich der Trend gedreht“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. Verschärft habe sich der Gegenwind auch durch das schlechte Konsumklima. „Die Inflation verunsichert Verbraucher und bremst die Kauflaune deutlich“, so Hantzsch weiter. „Für viele Betriebe werden die großzügig verteilten Staatsgelder der Vergangenheit jetzt zum Bumerang. Die Rückzahlungen der Hilfen und teils verschleppte Anpassungen des Geschäftsmodells führen bei dauerhaft steigenden Zinsen in die finanzielle und wirtschaftliche Sackgasse“, erläutert der Experte.
Die Untersuchung der Creditreform Wirtschaftsforschung belegt eine deutlich gestiegene Zahl an Insolvenzen von mittleren und großen Unternehmen. Die Fallzahlen bei Großunternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern lagen um rund 67 Prozent über dem Vorjahreswert. Bei Unternehmen mittlerer Größe mit 51 bis 250 Beschäftigten nahmen die Insolvenzen sogar um 133,3 Prozent zu. So waren im 1. Halbjahr 2023 auch deutlich mehr Beschäftigte von der Insolvenz des Arbeitgebers betroffen (schätzungsweise 125.000; 1. Halbjahr 2022: 68.000). Weniger stark gestiegen sind die Insolvenzzahlen bei Kleinunternehmen. „Globale Krisen wie die Pandemie oder die Energiepreisinflation haben auf größere Unternehmen direktere und unmittelbarere Auswirkungen“, erläutert Hantzsch. Daher gebe es im Mittelstand und bei Großunternehmen mittlerweile mehr Insolvenzfälle als vor Corona.
Viele GmbHs betroffen
Bei den Unternehmen hat sich das Insolvenzgeschehen weg von Einzelunternehmen und Kleingewerbetreibenden hin zu Gesellschaften wie der GmbH entwickelt. So erhöhte sich der Anteil der GmbH am Insolvenzgeschehen von 37,6 auf 41,8 Prozent. Auch diese Entwicklung deutet auf ein höheres Fallaufkommen im Bereich mittlerer und größerer Firmen hin. Rückläufig war hingegen der Anteil von Einzelunternehmen, die im 1. Halbjahr 2023 40,3 Prozent aller Insolvenzen ausmachten – im Vorjahreszeitraum waren es noch 44,5 Prozent.
In allen vier Hauptwirtschaftsbereichen hat sich das Insolvenzaufkommen spürbar erhöht. Im Verarbeitenden Gewerbe war ein Anstieg der Fallzahlen um 22,6 Prozent zu verzeichnen, im Handel um 18,5 Prozent. Im Dienstleistungssektor erhöhte sich die Zahl der Insolvenzen um 16,7 Prozent, während der Anstieg im Baugewerbe um plus 9,0 Prozent unterdurchschnittlich war.
Verbraucherinsolvenzen (noch) konstant
Bei den Verbrauchern lagen die Insolvenzzahlen mit 33.200 Fällen im 1. Halbjahr 2023 etwa auf Vorjahresniveau (33.350 Fälle). „Energiekrise und Teuerung haben noch nicht zu spürbaren Auswirkungen auf die Zahl der Verbraucherinsolvenzen geführt“, sagt Insolvenzexperte Hantzsch. Der Arbeitsmarkt habe sich in der aktuellen Rezession bislang robust gezeigt. Zudem würden die Verbraucherinsolvenzen erst mit Verzögerung auf eine Verschlechterung der Wirtschaftslage reagieren.
Weiterer Anstieg der Insolvenzen wahrscheinlich
Im weiteren Jahresverlauf dürfte sich der aktuelle Trend steigender Insolvenzzahlen fortsetzen. Die Studie geht davon aus, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen durch die Inflation und auch durch die Zinswende sehr angespannt bleiben. Die Zahl der Zahlungsausfälle könnte sich in den kommenden Monaten sogar noch beschleunigen. Jede weitere Erhöhung des Zinsniveaus sei für die Unternehmensstabilität in Deutschland problematisch. Zudem werden Erträge und preisbereinigte Umsätze der deutschen Unternehmen 2023 wohl stagnieren, was die Bewältigung steigender Zinslasten schwierig mache.