Im Kontext der gesetzlichen Ausdifferenzierung der Winterreifenpflicht wurde der Reifen-Branche eine bis dahin nicht gekannte Medienaufmerksamkeit zuteil. Die von Industrie und Handel insgesamt ersehnte Neuregelung birgt aber nicht nur Chancen. Der Endverbraucher will gut beraten werden und auf seine wintertaugliche Bereifung nicht lange warten müssen.
Seit dem 4. Dezember des letzten Jahres gilt nun auch in Deutschland eine allgemeine Winterreifenpflicht. Der Gesetzgeber hat aus seiner Sicht noch rechtzeitig mit dem Winter-Einbruch Fakten geschaffen und die von den Richtern des OLG Oldenburg geforderten Konkretisierungen des Paragrafen 2 Absatz 3a der Straßenverkehrs-Ordnung vorgenommen. Für die politischen Entscheidungsträger galt es, die Rechtsunsicherheit für die Kontrollbehörden zu beheben. Klarheit herrscht für den Autofahrer nun darüber, dass er bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte sein Auto nur mit wintertauglicher Bereifung bewegen darf. Weniger klar allerdings dürfte für den Endverbraucher nach wie vor sein, welcher Reifen denn tatsächlich über diese wintertauglichen Eigenschaften verfügt. Die Branche im allgemeinen und der Handel im speziellen ist hier gefordert, unterstützend zu wirken. Die Mischung, Profilierung und Lamellierung macht‘s. M+S-Symbole finden sich auf vielen Reifen, leider nicht nur auf solchen, die ihre Kapazitäten auf winterlichen Straßenverhältnissen nachgewiesen haben. Der Reifenhandel wird also viel Beratungskompetenz zeigen müssen. Dies bedeutet einerseits Verpflichtung, auf der anderen Seite aber auch die Chance den Endkunden durch einen qualifizierten Verkauf nachhaltig zu überzeugen und zu binden.
Die Anpassung der Ausrüstungsvorschrift wird von der Industrie allgemein befürwortet, ob sie aber die in Deutschland verbliebene Restzahl totaler Winterreifenverweigerer in den Handel locken kann, bleibt zweifelhaft. Darüber hinaus gibt es weiterhin kritische Stimmen zur Nachbesserung von Seiten der Automobilclubs. So begrüßt beispielsweise der Automobilclub von Deutschland (AvD), dass die Autofahrer mehr Klarheit und somit auch Rechtssicherheit bekommen, regt jedoch gleichzeitig weitere Ergänzungen an. Im Kern geht es um die bereits erwähnte exakte Definition der Anforderungen, die ein Winterreifen erfüllen muss. Darüber hinaus hält der AvD nachvollziehbarerweise eine einheitliche Kennzeichnung und die Anhebung der gesetzlichen Mindestprofiltiefe für wünschenswert. Der AvD befürwortet eine Mindestprofiltiefe von vier Millimetern. Die M+S-Kennzeichnung sei nicht durch ein Prüfverfahren gestützt. Quasi jeder Reifenhersteller könne es aufdrucken und frei bestimmen, ob es sich bei einem Reifenmodell um einen Matsch-und-Schnee-Typ handelt. Deutliche Kritik diesbezüglich kommt auch aus dem Hause ADAC.
Die Reifen-Industrie hat sich in den vergangenen Wochen über eine enorme Medienaufmerksamkeit freuen dürfen. Leider gab es im unmittelbaren Anschluss an die allgemeine Berichterstattung über die Winterreifenpflicht auch vermehrte Meldungen über akute Verfügbarkeitsdefizite von Pneus. Tatsächlich kam es einige Reifengrößen betreffend schon frühzeitig zu erheblichen Lieferengpässen. Wer sich nicht ausreichend bevorratet hatte, der musste sich bezogen auf die meistnachgefragten Dimensionen in Geduld üben. Die Bild-Zeitung prangerte Anfang Dezember eine „Abzocker-Mentalität“ im Reifenhandel an. Sicher, die Nachfrage definiert den Preis und der Handel muss stets seine Gewinnmarge im Blick haben, wer aber als qualifizierter Fachhändler und Großhändler auf nachhaltige Kundenberatung und Bindung setzt, kann und darf die Preisspirale nicht ins Unermessliche dehnen. Branchenintern gab es viele kritische Stimmen zu von einigen Großhändlern vorgenommenen Preissteigerungen, diesbezüglich besteht sicher noch Klärungsbedarf.
Auch über die Gründe für die regelmäßig zur Umrüstzeit auftretende Reifenknappheit darf man sich immer wieder Gedanken machen. Das plötzlich einsetzende heftige Winterwetter und die gesetzliche Neuregelung haben ihren Teil in dieser Saison dazu beigetragen, eine wesentliche Ursache ist aber erneut auf Industrie-Seite zu finden.Vielfach war von den großen Reifenherstellern zwar zu hören, dass die Werke voll ausgelastet seien. Tatsächlich aber ist zu bemerken, dass die Produktion nach rezessionsbedingten Kapazitätsanpassungen erst vergleichsweise spät hochgefahren wurde. Außerdem hat die Automobilindustrie aktuell einen großen Bedarf an Reifen für die Erstausrüstung, den es für die Reifenhersteller allein aus wirtschaftlicher Sicht zu bedienen gilt. Die Auswertung der Defizite aber auch die Beurteilung der Chancen durch die nun gesetzlich konkretisierte Winterreifenpflicht für die Branche insgesamt muss jedenfalls zügig erfolgen, in wenigen Wochen steht ja bereits die nächste Umrüstphase an, und die dürfte kaum weniger lukrativ sein.
(kle)