„Die schlechten wirtschaftlichen Perspektiven – Rezession der Gesamtwirtschaft mit nachlassender Nachfrage nach Kautschukprodukten bei gleichzeitiger weiterer Verteuerung von Energie – bringen die deutsche Kautschukindustrie in Existenznot“, fasst der Chef-Volkswirt des wdk, Michael Berthel, die Situation zusammen. Das Hauptproblem bestehe darin, dass die Unternehmen der Branche die Mehrkosten größtenteils selbst verkraften müssten, wie Berthel weiter ausführt: „Nach Berechnungen des wdk haben sich die herstellungsrelevanten Kosten in den wesentlichen Produktgruppen von Kautschukartikeln seit 2019 um mehr als 60 Prozent erhöht. Dem steht im ersten Halbjahr 2022 ein Umsatzzuwachs von lediglich 1,0 Prozent gegenüber – bei einem Mengenabsatz in etwa auf Vorjahresniveau.“
Um die dadurch drohenden Insolvenzen, die Konkretisierung von Verlagerungsplänen und den Abbau von Arbeitsplätzen zu vermeiden, fordert der Wirtschaftsverband eine schnelle Lösung der aktuellen Gas- und Strompreiskrise. Geboten sei eine „zügige und spürbare Entlastung für alle von der Kostenexplosion betroffenen Industrieunternehmen“. Der klare Appell von Michael Berthel: „Die politischen Hilfen und Rahmenbedingungen müssen einen Erhalt der deutschen Industrie am heimischen Standort ermöglichen – und zwar jetzt!“
Reifenersatzgeschäft ebenfalls belastet
Nach Angaben des wdk erhöhte sich der Branchenumsatz der deutschen Kautschukindustrie im ersten Halbjahr 2022 insgesamt auf 5,25 Milliarden Euro. Vor allem der Exportumsatz entwickelte sich mit einem Plus von 0,8 Prozent jedoch nur mäßig und blieb unter zwei Milliarden Euro. Im Inlandsgeschäft steht immerhin ein Zuwachs von 1,1 Prozent zu Buche.
Sorgen bereitet dem Verband, dass insbesondere die Lieferungen der Automobilzulieferer der Branche – Reifen und technische Produkte – weiterhin deutlich unter den geplanten Umfängen liegen. Die Nachfrage seitens der (deutschen) Fahrzeughersteller sei anhaltend niedrig. „Neben den die Fahrzeugproduktion limitierenden Versorgungsengpässen mit Halbleitern durch den Ukraine-Krieg verringert die inflationsbedingte starke Verteuerung von Autos die Nachfrage. Gerade erst hat der Branchenverband VDA die Nachfrageprognose für das laufende Jahr zum dritten Mal und unter das Vorjahresniveau angepasst“, konstatiert Berthel.
Faktoren wie reduzierte Fahrleistungen und die inflationsbedingte Kaufzurückhaltung belasten dem Verband zufolge auch das Reifenersatzgeschäft. Das Absatzvolumen liege noch deutlich unter den Umfängen der Jahre vor 2020. Im non-automotiven Sektor hätten sich in den ersten sechs Monaten weniger Beeinträchtigungen auf der Nachfrageseite gezeigt. Aktuell trübten sich aber auch hier die Geschäftserwartungen deutlich ein und die Auftragslage schwäche sich ab. Eine konkrete Prognose zur wirtschaftlichen Entwicklung der Branche ist nach Aussage von Michael Berthel aufgrund diverser sich überlagernder Krisen aktuell nicht möglich. „Fest steht aber, dass die deutsche Kautschukindustrie vor einem existenziellen Schlussquartal 2022 und einem überaus schwierigen Geschäftsjahr 2023 steht“, so der wenig verheißungsvolle Ausblick des wdk-Chefvolkswirts.