Rund 3.500 angehende Reifenhandwerker wurden seit September 1996, dem Start der „überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung“ (ÜLU) in der Branche, in etwa 200 ÜLU-Lehrgängen in München und Gelsenkirchen geschult. Als Teil der Ausbildungsphasen ist die überbetriebliche Ausbildung fest im dualen System der deutschen Berufsbildung verankert und erfüllt hier einen wichtigen Zweck: Wegen zunehmender Spezialisierung können viele Ausbildungsbetriebe heute einem Auszubildenden nicht mehr alle laut Ausbildungsordnung zu seinem Beruf gehörenden Fertigkeiten und Kenntnisse vermitteln. Die Innungen und Kammern haben deshalb Werkstätten eingerichtet, in denen die Azubis ergänzend zur Ausbildung in Betrieb und Berufsschule spezielle, berufsspezifische Lehrgänge absolvieren.
Die beiden zentralen Ausbildungsorte für das Reifenhandwerk sind das für Azubis aus Nordrhein-Westfalen zuständige Hans-Schwier-Berufskolleg in Gelsenkirchen sowie die Stahlgruber-Stiftung in München für den Berufsnachwuchs aus allen anderen Bundesländern. Hier werden die Lehrlinge in jeweils einwöchigen Lehrgängen überbetrieblich geschult. In der Fachrichtung Reifen-/Fahrwerktechnik stehen Zweiradreifen, Rad- und Reifensysteme, die Beurteilung und Reparatur von Reifen sowie Instandsetzungsarbeiten an Fahrwerken, Baugruppen und Systemen und das Verändern der Fahrdynamik auf dem Plan. In der Fachrichtung Vulkanisationstechnik werden Details zu Fördergurten und Gummiauskleidungen sowie Instandsetzen und Erneuern von Reifen geschult. Lehrgangsleiter sind die Obermeister der jeweiligen Innung, Horst Kornetka von der Innung Rhein-Ruhr und sein Pendant in Bayern, Michael Immler.
„Beide haben sich um die Nachwuchsförderung in unserem Handwerk seit langen Jahren besonders verdient gemacht“, hebt Peter Hülzer, geschäftsführender Vorsitzender des Bundesverbandes Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV e.V., Bonn), hervor. Der Branchenfachverband erfüllt in Sachen ÜLU die Rolle eines Koordinators: Er lädt die Junghandwerker zu den jeweiligen Lehrgängen ein und stellt den entsendenden Unternehmen den Teil der Kosten in Rechnung, den sie nach Abzug der – ebenfalls vom BRV beantragten – Zuschüsse von Bund und Ländern (die etwa zwei Drittel der Gesamtkosten abdecken) selbst tragen müssen.
Nicht alle Ausbildungsbetriebe schätzen die ÜLU, deren Teilnahme verpflichtend ist. Denn zum einen entstehen den Unternehmen dadurch Kosten, zum anderen sind die Azubis während der Lehrgänge wochenweise nicht in der heimischen Werkstatt verfügbar, obwohl die dort verbrachte Zeit als Arbeitszeit gilt. Doch das, so unterstreicht BRV-Chef Hülzer, sei zu kurz gedacht, und argumentiert: „Gerade im stark mittelständisch strukturierten, oft spezialisierten Reifenhandwerk bietet nur die überbetriebliche Ausbildung die Möglichkeit, den Azubis alle in der Ausbildungsordnung des Berufsbildes ‚Mechaniker für Reifen- und Vulkanisationstechnik‘ verlangten Kenntnisse und Fertigkeiten beizubringen. Zeitintensive Ausbildungsinhalte werden hier zudem vermittelt, ohne den betrieblichen Ablauf zu stören, indem sich auch noch die eigenen Ausbilder mit den oft betriebsfremden Themen befassen müssen. Hinzu kommt, dass die ÜLU-Lehrgänge ein zwar kostenpflichtiges, aufgrund der öffentlichen Förderung für die Unternehmen aber tatsächlich kostengünstiges Angebot sind.“
(kle)