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Foto: Martin Häußermann
Ein bisschen Sport muss sein: Mit der Sportglide auf der ehemaligen Solitude-Rennstrecke.

Fahrbericht Motorrad

Harley-Davidson Sport Glide – das Multitalent

Die Harley-Davidson Sport Glide kann cruisen, touren und sogar ein bisschen sporteln. Je nach Anlass wechselt sie dabei das Gewand, bleibt aber immer eine echte Harley.

Sport ist im Grunde nicht gerade die Kernkompetenz von Harley-Davidson. Die Amerikaner bauen mehrheitlich große, wuchtige Motorräder, die zum Cruisen und Tourenfahren einladen. Mit der Sport Glide haben sie nun ein Bike auf die Räder gestellt, das alle diese Eigenschaften – inklusive sportliches Fahren – vereinen soll. Die Werbetexter des Hauses behaupten, die Sport Glide sei das perfekte Motorrad für „Fahrer auf der Suche nach der perfekten Mischung aus Performance und Touring“. Ob sie das einlösen kann?

Was die nackten Zahlen betrifft, wird’s schon mal schwierig. Fahrfertig bringt die Sport Glide deutlich mehr als 300 Kilogramm auf die Waage. Das ist für einen echten Sportler definitiv zu viel. Und der Radstand von gut 1,60 Meter passt auch nicht unbedingt in die Kategorie Sport, sondern eher in die Cruiser-Ecke. Ebenso wie das mächtige V2-Aggregat, der alles andere als ein Sportmotor ist. In der Sport Glide werkelt der so genannte Milwaukee Eight mit 107 Kubikinch, was 1745 Kubikzentimetern entspricht. Daraus entspringen 84 Pferdestärken. Moderne Naked-Bikes liefern oft das Doppelte, Supersportler noch mehr.

Sattes Motorrad

Also: Ein reinrassiger Sportler ist diese Harley sicher nicht, aber dennoch ein gelungenes Motorrad, dem es auch keineswegs an Temperament gebricht. Denn wie die 84 Pferdchen serviert werden, ist durchaus beeindruckend. Denn er tritt schon ab Leerlaufdrehzahl vehement an, hängt schön am Gas und liefert bereits bei 3000 Umdrehungen das maximale Drehmoment von 145 Newtonmeter ab. Die volle Leistung steht bei 5450 Touren zur Verfügung. Doch in diese Regionen stößt man eigentlich nur bei allfälligen Autobahnfahrten vor. Ansonsten animiert dieser bullige Langhuber eigentlich eher zum niedertourigen Fahren. Weil das Sechsganggetriebe speziell in den oberen Gängen recht lang übersetzt ist, kommt man auf der Landstraße selten über 2500 Umdrehungen. Und genießt dabei den Sound. Das ist wie Johnny Cash auf zwei Rädern – ein satter Bassbariton, aber niemals aufdringlich.

Das erfreut gerade auf langen Strecken, für die sich die Sport Glide ganz prima eignet. Schließlich sind von Haus aus zwei Koffer mit jeweils 25 Liter Fassungsvermögen montiert, in denen man schon das Gepäck für ein verlängertes Wochenende unterbringen kann. Weiterhin wird der Scheinwerfer mit dem schönen und treffenden Namen „Daymaker“ von einer kleinen Verkleidung umrahmt, den Harley-Kenner Batwing nennen – weil die Form ausgebreiteten Fledermausflügeln ähnelt. Wir kennen Batwing-Verkleidungen von Harley-Touringbikes, allen voran der Electra Glide. Diese hier ist deutlich filigraner, die aufgesetzte Scheibe so schmal, dass sie erste auf den zweiten Blick auffällt. Und doch ist der Effekt deutlich spürbar.

Die Verkleidung hält wirkungsvoll den Fahrtwind vom Oberkörper weg, so dass man auf der Autobahn auch über längere Zeit mit Richtgeschwindigkeit 130 km/h cruisen kann, ohne lange – und vor allem müde – Arme zu bekommen. Zum entschleunigten Reisen auf der Bahn trägt auch der serienmäßige Tempomat bei. Geht die Reise nur zur Eisdiele oder auf die kleine Feierabendrunde, lassen sich Verkleidung und Koffer auch mit wenigen Handgriffen demontieren. Dann wird aus dem Tourer ein für Harley-Verhältnisse schlanker Chopper.

Fahrkomfort

Diese Verwandlungsfähigkeit gefällt ebenso wie der Fahrkomfort. Wir haben insgesamt gut 1.000 Kilometer im Sattel verbracht und haben uns wohl gefühlt. Mit rund 68 Zentimeter Sitzhöhe bietet sie auch etwas kürzer gewachsenen Menschen einen adäquaten Arbeitsplatz, der hohe und leicht gekröpfte Lenker liegt gut zur Hand, die Fußrasten sind für unseren Geschmack etwas zu weit vorne platziert – Menschen mit Gardemaß werden dies hingegen schätzen. Sobald die Schräglage mehr als 28 Grad erreicht, kratzen diese Rasten auf dem Boden. So sprühen bei jeder flott gefahrenen Kurve und auch in vielen Kreisverkehren die Funken. Wir haben buchstäblich die Kurven gekratzt und dabei an den klappbaren Rasten sichtbar Material abgetragen, ohne die Schräglagenreserven der Reifen nur annähernd ausgenutzt zu haben.

Serienmäßig montiert war ein Michelin Scorcher, den der Reifenhersteller mit und für Harley-Davidson entwickelt hat. So wundert es auch nicht, dass der OE-Reifen sehr gut mit der Maschine harmoniert und sicher einen Teil zum guten Handling auf trockener Straße beiträgt. Wobei der Nassgrip – vorsichtig gesagt – nicht optimal ist, denn für Harley-Davidson steht eine hohe Laufleistung ganz oben im Lastenheft. Dementsprechend muss eine harte Gummimischung gewählt werden. Wer besseren Nassgrip wünscht, muss auf Reifen ausweichen, die kein Harley-Davidson-Branding auf der Flanke tragen. Vorne und hinten ist jeweils nur eine Bremsscheibe montiert. Dennoch geht die Verzögerung absolut in Ordnung, schließlich bremst das Hinterrrad aufgrund des hohen Gewichts gut mit.

Ein Sportler ist die Sport Glide also nicht, eine echte Harley allemal, die mit Vielseitigkeit und Ausgewogenheit überzeugt. (mh)

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Foto: Martin Häußermann
Gestrippt: Ohne Verkleidung gibt die Sport Glide den Chopper
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Foto: Martin Häußermann
Auftragsarbeit: Diesen Reifen hat Michelin speziell für Harley-Davidson entwickelt.
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Foto: Martin Häußermann
Amerikanischer Maschinenbau: Der Milwaukee Eight mit Zwei-in-eins-Auspuffanlage.