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Hankook zählt zu den Vorreitern in der Entwicklung von Reifen für Elektrofahrzeuge.

Elektromobilität

Entwicklungsparameter Reichweite, Drehmoment, Gewicht

Elektromobilität erobert den Massenmarkt. Das hat Auswirkungen auf die Reifenentwicklung – Entwicklungsschwerpunkte verschieben sich und auch in der Produktionssteuerung gilt es Prozesse anzupassen.

Lange Zeit wurde die Marktrelevanz von elektrisch angetriebenen Fahrzeugeinheiten auch von Brancheninsidern bezweifelt – fehlende Reichweiten und eine nicht vorhandene Ladeinfrastruktur wurden als Hauptgründe für ein auf Zeit noch begrenztes Interesse seitens der Verbraucher angeführt. Das Jahr 2020 allerdings markiert ohne Zweifel einen Tipping Point – der Markt hierzulande verzeichnete ein Wachstum im dreistelligen Prozentbereich. Nach KBA-Angaben beträgt der Anteil von Elektrofahrzeugen bei den Neuanmeldungen bereits über 10 Prozent. Elektrisch angetriebene Fahrzeuge werden in der Masse noch nicht unmittelbar für das Servicegeschäft oder den Reifenersatzmarkt relevant, wer aber Industrie- oder Handels-seitig jetzt noch keine Lösungen offeriert, wird künftig nicht zu den Impulsgebern zählen und Chancen in diesem Segment ausschöpfen können. Die relevanten Reifenhersteller liefern längst auf das Anforderungsprofil von Elektro- oder Hybrid-Fahrzeuge abgestimmte Reifen für die Erstausrüstung und den Ersatzmarkt. Entwicklungsschwerpunkte verschieben sich und auch in der Produktionssteuerung passen die Akteure Prozesse an.

Ein Kernkriterium in der Entwicklung für Reifen von Elektrofahrzeugen ist ein möglichst geringer Rollwiderstand. Dieser kann bis zu 30 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs ausmachen. „Die entwicklungsseitige Strategie ist, den Rollwiderstand, also die Reibung zur Straßenoberfläche, so gering wie möglich zu gestalten. Dies kann jedoch nur erfolgen, wenn auch die erforderlichen Sicherheitsaspekte eingehalten werden können. Diesen klassischen Zielkonflikt zu meistern, gelingt nur wenigen Premium-Reifenherstellern“, sagt Michael Ewert, Vice President Sales Original Equipment bei Michelin. Die aktuellste Antwort des Reifenriesen aus Clermont-Ferrand heißt im Pkw-Segment Michelin e.Primacy. Seit März ist das Profil erhältlich – wir berichteten in Ausgabe 01/21.

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Foto: Hankook
Klaus Krause, Vice President and Head of the European Development Centre von Hankook in Hannover.

Auch Klaus Krause, Leiter des europäischen Entwicklungszentrums von Hankook, hebt die Bedeutung eines möglichst geringen Rollwiderstands zur Maximierung der Batteriereichweite hervor. „Gleichzeitig muss der Reifen auch eine sehr stabile Konstruktion bieten, um das durch die Batterie erhöhte Fahrzeuggewicht zu kompensieren. Auch die Geräuschentwicklung der Reifen spielt eine immer größere Rolle, da die sonst üblichen Motorengeräusche wegfallen. Neue Motoren mit höherem Drehmoment bedeuten auch neue Bedingungen und ein anderes Fahrzeugverhalten, worauf man wenn nötig mit Anpassungen bei den Reifenspezifikationen reagieren muss“, weitet Krause die Entwicklungsperspektive. Michael Ewert bestätigt: „Technisch gesehen, liegt die Herausforderung bei Reifen für Elektrofahrzeugen bei der Reichweite, dem Drehmoment, dem Gewicht des Fahrzeugs und der Geräuschentwicklung.“ Das Abrollgeräusch des Reifens ist generell das lauteste Geräusch, das der Fahrer in batterieelektrischen Autos wahrnimmt. Das größte Potenzial zur Minimierung der Geräuschentwicklung besteht in der Reifenentwicklung in der Profilgestaltung.

„tall and narrow“-Reifen

Die Reichweite betreffend setzen die Hersteller größtenteils auf sogenannte „tall and narrow“-Reifen. Diese reduzieren den aerodynamischen Luftwiderstand durch geringere Breite, größere Dimensionen schaffen bessere Rollwiderstandswerten. „Hierbei konzentrieren wir uns auf das Material der Lauffläche. Zudem befassen sich unsere Entwicklungsingenieure mit der Optimierung des Luftwiderstands, so ist eine windschlüpfige Seitenwandgestaltung, also dass beispielsweise die Seitenwandmarkierung nicht zu weit heraussteht, eine von vielen Maßnahmen, um aerodynamische Vorteile zu entwickeln“, erläutert OE-Spezialist Michael Ewert. Christian Mühlhäuser, Managing Director Bridgestone Central Europe, berichtet: „Die Herausforderung im Entwicklungsprozess besteht darin, die Reifenbreite und den Außendurchmesser in Einklang zu bringen. Am Fahrzeug dürfen sie nicht zu weit nach innen reichen, da sonst das Batteriepaket im Weg wäre – aufgrund der gesetzlichen Vorschriften ebenso nicht nach außen. Ein größerer Durchmesser fördert die Tragfähigkeit und einen bei gleicher Breite geringeren Rollwiderstand. Um diese Zielkonflikte bei Parametern wie beispielsweise Rollwiderstand, Nasshaftung und Laufleistung möglichst optimal zu lösen, arbeiten wir unter anderem erfolgreich mit innovativen High-End-Laufstreifenmischungen, die entwicklungsbedingt immer wieder neue zielführende Lösungen eröffnen.“

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Foto: Michelin
Michael Ewert von Michelin weist bei Elektroautos auf neue Möglichkeiten bei der Lastverteilung hin.

Vor Herausforderungen stellt die Entwickler auch das erhöhte Drehmoment. „Ein Fahrzeug mit Elektromotor kann im niedrigen Geschwindigkeitsbereich sehr schnell beschleunigen, da das maximale Drehmoment unmittelbar beim Anlaufen des Elektromotors zur Verfügung steht. Die Beschleunigung zusammen mit dem zum Teil erhöhten Gewicht der Autos kann bei normaler Bereifung zu einem deutlichen schnelleren Reifenverschleiß führen. Anforderungen durch das hohe Drehmoment des elektrischen Antriebs und dem erhöhten Gewicht begegnet Michelin durch den spezifischen Materialmix und das Profilmuster, das sich durch hohe Steifigkeit und Widerstandsfähigkeit an der Aufstandsfläche auszeichnet“, erläutert Michael Ewert. An die Karkasse werden neue Anforderungen aufgrund eines größeren Fahrzeuggewichtes gestellt.  „Elektromotoren erlauben mehr Freiheit bei der Gewichtsverteilung und mehr Last auf der Hinterachse als es bei den meisten Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor heute der Fall ist. Dies eröffnet völlig neue Möglichkeiten bei der Lastverteilung“,  so Ewert.

OE-Partnerschaften

Substanzielle Entwicklungsschritte bewältigen besonders die Reifenhersteller, die im Rahmen von OE-Partnerschaften mit den Fahrzeugherstellern an Lösungen arbeiten. „Die Erstausrüstung ist in diesem Kontext ein gutes Stichwort. Denn, ganz gleich welches Fahrzeugkonzept, jede Reifenentwicklung in der Erstausrüstung zielt darauf ab, das Zusammenspiel zwischen Fahrwerk und Reifen möglichst ideal, im Sinne maximaler Sicherheit, abzustimmen. Elektrofahrzeuge der neuesten Generation weisen dabei deutliche konzeptionelle Unterschiede gegenüber herkömmlichen Fahrzeugkonzepten auf. Dazu gehören unter anderen der durch das Batteriepaket bedingte tiefe Schwerpunkt, die geringere dynamische Achslastverlagerung oder das hohe Drehmoment am Rad. Um das individuelle Anforderungsprofil bestmöglich zu erfüllen, liefern quasi maßgeschneiderte Reifen im Gesamtergebnis natürlich die überzeugendsten Ergebnisse“, erklärt Christian Mühlhäuser.

Wie aber wirkt sich das Wachstum im Bereich der Elektromobilität konkret auf die Strukturierung der Entwicklungsabteilungen und die Produktionssteuerung aus? „In 2025 wird jeder dritte in Deutschland gefertigte Pkw ein Elektro-Auto sein, heißt, dass hierzulande bis dahin nahezu 1,6 Millionen Elektro-Auto gebaut werden. Das Potenzial erkennen wir deutlich. Ein für uns wichtiges Werk im Bereich Elektromobilität ist unser deutscher Standort in Bad Kreuznach. Unsere Werke, in denen hauptsächlich Pkw-Reifen produziert werden, sind für die Portfolioerweiterungen im Bereich E-Mobilität vorbereitet. Übrigens auch was das Thema Vernetzung angeht – bis 2023 werden alle Pkw-Reifen von Michelin mit RFID-Chips verbaut sein“, sieht Michael Ewert Michelin vorbereitet. Laut Christian Mühlhäuser von Bridgestone besteht die große Herausforderung derzeit in der notwendigen parallelen Entwicklung von Premium-Produkten für Fahrzeuge mit herkömmlichen Antriebsarten und E-Fahrzeuge. Diese Aufgabenstellung führe zu einem hohen F&E-Aufwand und verlange eine erhöhte Diversifikation in den Werken. “Zudem benötigen Reifen für E-Fahrzeuge zur Erreichung der gewünschten und manchmal gegensätzlichen Eigenschaften Hightech-Compounds und somit Hightech-Mischer mit entsprechend ausreichender Kapazität in den Werken“, so Mühlhäuser.

In der Reifenentwicklung gewinnen die Parameter Reichweite, Drehmoment, und Gewicht mit dem weiteren Wachstum im Feld der Elektromobilität zunehmend an Bedeutung. Welche Auswirkungen diese Marktentwicklung auf die Reifenwechselfrequenz haben wird, lässt sich zum aktuellen Zeitpunkt nur erahnen. Die skizzierten Faktoren lassen einen höheren Reifenverschleiß vermuten. Aber auch hierauf werden die Impulsgeber der Reifenindustrie Antworten finden und das Nutzungsspektrum im Laufe der Jahre austarieren – im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Performance sowie Energieeffizienz und Nachhaltigkeit.

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Foto: Lehmkuhl
Laut Christian Mühlhäuser, Managing Director Bridgestone Central Europe, werden substanzielle Entwicklungsschritte über OE-Partnerschaften erreicht.
Der Michelin ePrimacy ist Testsieger im MO/OVE Sommerreifentest in der Größe 255/45 R20 V, W, Y. für BEV.

Sommerreifentest für BEV

Reichweitenjäger im Sommerreifen-Test für E-Fahrzeuge

Reifentests für batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) fallen durch eine neuartige Gewichtung auf. Reifen für E-Fahrzeuge müssen in erster Linie  Sicherheit bieten, gefolgt von der Reichweite, die für Fahrer dieser Fahrzeuge ein wichtiges Kriterium darstellen kann.

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Reifenhersteller

Elektrifizierung am Erzberg – Bridgestone ist Reifenlieferant

Die VA Erzberg GmbH treibt die Elektrifizierung im größten Hartgesteinstagebau Mitteleuropas voran. Bridgestone sammelt als Reifenpartner wertvolle Erfahrungen – im Bergwerk der Zukunft.

    • Reifenhersteller, Bridgestone, Flottengeschäft, Elektromobilität
Mit einer virtuell elektronischen Steuereinheit kann die Entwicklungszeit um bis zu zwölf Monaten verkürzt werden.

Continental Automotive

Von virtueller zur realen Automobilsoftware

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    • Continental, Automotive, Industrie
Der Bridgestone Winterreifen Blizzak LM005 fährt weiter Testsiege ein.

Reifenindustrie

Tyre Reviews Winterreifentest 2023

Der große Winterreifentest der Reifenplattform Tyre Review für die Wintersaison 2023/24 hat elf der beliebtesten Winterreifen auf dem Markt auf Herz und Nieren überprüft.

    • Reifenindustrie, Winterreifen