Die Aussagen Hennens sind für Brancheninsider in weiten Teilen nicht wirklich überraschend. Dass nach dem Skandal um den "Gelben Engel" nun auch der so bedeutsame Reifentest des ADAC in Frage gestellt wird, war nur eine Frage der Zeit. Die Süddeutsche Zeitung schreibt, dass einige Herstellerfirmen über das Testprozedere und auch die Testörtlichkeiten des ADAC informiert sind. Der ADAC sagt, es gibt ein Testkonsortium für den Reifentest. Dieses entscheide über die Produkte und die Testmethodik. Das Konsortium bestehe aus europäischen Automobilclubs und Verbraucherschutzorganisationen (Stiftung Warentest und ihre Partner). Eine Sprecherin des Automobilclubs bestätigt aber auch, dass Vertreter der Industrie und auch Journalisten an Testeinheiten teilnehmen dürfen und sich so ein Bild von der Vorgehensweise beim Reifentest machen können. Ein Zeichen der Transparenz könnte man meinen, das aber dadurch wieder relativiert wird, dass die genauen Testergebnisse (Bsp. gemessene Bremswerte) nicht veröffentlicht werden. Von enormer Brisanz ist für die Branche aber auch den Endverbraucher die Information, die die Süddeutsche von Hennen und einem weiteren Vertreter der Industrie erhalten haben will: Speziell auf das Testprozedere abgestimmte Reifen sollen an jene Verkaufsstellen geliefert worden sein, bei denen der ADAC seine Testreifen kauft. Genau diese These beinhaltet eine enorme Falltiefe – sollte sich dies bewahrheiten, würde auch der ADAC-Reifentest zumindest einen Teil seiner besonderen Relevanz einbüßen.
Daniel Bott als ADAC-Reifentester versicherte der Redaktion im Jahr 2012, dass der ADAC die Reifen bei verschiedenen Reifenhändlern in je 32 Einheiten je Testmodell einkauft. Welche finanziellen Mittel allein hierfür bereitgestellt werden müssen, wissen Branchenakteure nur zu genau. Sommer- und Winterreifentest zusammengenommen erwirbt der ADAC rund 2.500 Reifen. Die meisten der Endverbrauchermedien, die Tests durchführen, sind nicht in der Lage anonyme Käufe in einer vergleichbaren Größenordnung vorzunehmen und dann noch umfassende Testeinheiten mit den erworbenen Pneus durchzuführen. Da lässt sich man sich lieber Pneus direkt vom Hersteller zur Verfügung stellen. Die Testgelände der bekannten Reifengrößen werden darüber hinaus gern in Anspruch genommen. Auch der ADAC nutzt die Testgelände von Reifenherstellern – dennoch galt der Automobilclub, wie bereits erwähnt, bisher als gewissenhafte Instanz für einen Reifentest.
In welcher Form die Süddeutsche Zeitung und die Macher des Berichtes der WDR-Servicezeit versuchen, den Test ins Wanken zu bringen, bedarf aus Sicht unserer Redaktion einer Einordnung. Die Süddeutsche Zeitung wirft die Frage auf, ob auch der ADAC-Reifentest eine Farce ist? Von Jan Christian Hennen, zweifellos ein Insider der Branche, erfahren das Medium und auch der WDR viele Details der Testabläufe. Es steht außer Frage, dass die Großen der Branche in engem Kontakt mit den Verantwortlichen des Reifentests des ADAC stehen. Wenn aber tatsächlich bestimmte Akteure vorab bereits die Händler kennen, bei denen der ADAC seine Käufe tätigt, dann würde dies den ADAC-Test in Frage stellen. Die Autoren des Berichtes der WDR-Servicezeit sagen, der Club nutze seine Marktmacht nicht nur zur Steigerung seiner Werbeeinnahmen, sondern schütze den exklusiven Kreis der europäischen Reifenproduzenten anscheinend auch vor unliebsamer Konkurrenz aus Fernost. Zum Nachteil der Verbraucher unterstütze der ADAC so über die Testergebnisse die Hochpreispolitik der führenden Reifenproduzenten.
Dass Jan Christian Hennen, der für die asiatische Reifenmarke Westlake die Pressearbeit und die Testaktivitäten hierzulande koordiniert, als Informant diese These gefüttert haben soll, erscheint auf den ersten Blick kaum verwunderlich. Auf Nachfrage der Redaktion teilt Hennen mit, dass der ADAC viele der von ihm schon zu einem früheren Zeitpunkt bemängelten Umstände im Kontext des Reifentestes mittlerweile behoben habe. Hennen fordert vom ADAC allerdings, sich noch unangreifbarer zu machen und noch mehr auf Distanz zur Industrie zu gehen. Zur in der Süddeutschen Zeitung publizierten These, viele Hersteller seien über die Händler informiert, bei denen der ADAC seine Reifenkäufe tätigt, ergänzt Hennen seine Aussage am heutigen Donnerstag: "In der von mir gemachten Erklärung steht: 'Bis zum Einkauf im November müssen die Reifen bei den Händlern sein, bei denen der ADAC einkauft.' Nicht mehr und nicht weniger. Was die Süddeutsche Zeitung daraus gemacht hat, kann ich mir auch nicht erklären. Mit mir hat man nicht gesprochen." Er führt weiter aus: "Früher waren diese Händler Insidern bekannt. Der durch die Sprecherin Frau Dr. Hierath und 2012 durch den Testleiter Daniel Bott beschriebene Einkaufsvorgang ist heute vollkommen richtig dargestellt. Die Veränderung des Einkaufsvorgangs ist sicher unter anderem auch auf den Rechtsstreit von Diamond Tire zurückzuführen. Heute müssen die feingetunten Reifen bei allen möglichen Verkaufsstellen lieferbar sein, d.h. im gesamten Markt ist diese Variante Standard. Trotzdem können ganz neue Produkte wie beispielsweise der Michelin Alpin 5, der ja bereits ein Jahr vor der Markteinführung vom ADAC gekauft würde, um rechtzeitig im Test zu sein, von der Industrie geliefert werden. Dann werden unbenutzte Exemplare im Folgejahr mit der dann lieferbaren aktuellen Produktion verglichen."
Dr. Bettina Hierath, ADAC-Sprecherin Test & Technik, befragten wir zu den erhobenen Vorwürfen.
Der ADAC habe, berichtet ein Insider, „präparierte“ Reifen getestet. Wie stehen Sie dazu?
Bettina Hierath: Durch einen dreistufigen Einkaufsprozess an verschiedenen Orten und einem Qualitätsmanagement werden Veränderungen/ Nachbesserungen an Reifen eindeutig aufdeckt. Das Verfahren: Es werden insgesamt 28 Reifen je Model im öffentlichen Handel eingekauft. 24 Reifen werden zur eigentlichen Testdurchführung vor Testbeginn gekauft. Anhand eines weiteren Satzes mit vier Reifen, der zu einem späteren Zeitpunkt bei einem anderen Händler gekauft wird, kann überprüft werden, ob die Qualität der Serie entspricht. Bestehen nur geringste Zweifel, werden weitere Reifen verdeckt gekauft und Zusatztests durchgeführt. In einem drittem Einkaufsschritt werden zusätzlich Stichproben kurz vor Veröffentlichung gekauft und in einigen wenigen, aber aussagekräftigen Kriterien nachgetestet – wären Reifen gesondert gefertigt, wäre das auch hier sichtbar und sie würden spätestens dann aus dem Test genommen. (kle)
Lesen Sie weitere Ausführungen des ADAC aber auch von Jan Christian Hennen in der März-Ausgabe von AutoRäderReifen-Gummibereifung.