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ADAC-Reifentester Daniel Bott im Interview: „Privat fahren wir nur besonders empfehlenswerte Reifen“

Daniel Bott ist Leiter der Reifentests des ADAC-Technikzentrums und stand AutoRäderReifen – Gummibereifung für ein ausführliches Interview zur Verfügung. Dieses präsentieren wir im Januar und Februar in zwei Teilen. Als Verantwortlicher der in Deutschland wohl meistbeachteten Reifen-Testreihe gibt er im ersten Teil des Interviews Auskunft über die Testmethoden des ADAC und welche Reifen auf sein Privatfahrzeug montiert werden.

Herr Bott, als ADAC-Verantwortlicher für die Reifentests gewährten Sie kürzlich auf dem Dunlop-Winter-Workshop sehr aufschlussreiche Einblicke in Ihre Test-Methoden und -Organisation. Geben Sie bitte auch unseren Lesern einen kleinen Einblick in den zeitlichen und organisatorischen Aufwand dieser Tests. Wie viel Vorlauf braucht ein Test, wie viele Leute sind involviert, wie ist die Materialbeschaffung organisiert?
Daniel Bott: Von der ersten Idee, welche Reifengröße getestet wird oder welche Testfahrzeuge verwendet werden, bis zur Veröffentlichung dauert es ein Jahr. Von der ersten bis zur letzten Testfahrt dauert es fünf Monate. Einen Großteil der Vorbereitung benötigen wir schon für den Einkauf und den Wareneingang der Testprodukte. Wir kaufen bei verschiedenen Reifenhändlern insgesamt 32 Reifen je Testmodell ein, dabei kaufen wir, mit Ausnahme der „Billigreifen“ die Reifen nicht komplett bei einem Händler. Deswegen entsteht beim Wareneingang ein großes Arbeitspensum. In der Regel kaufen wir im Jahr, Sommer- & Winterreifentest zusammen, rund 2.500 Reifen ein, jeder einzelne Reifen muss bei Anlieferung auf Modellname, Produktionsdatum und Produktionsort geprüft werden. Die Frage nach den involvierten Personen ist nicht einfach durch eine Zahl zu beschreiben. Das reine Testteam in Landsberg besteht aus 4 Personen, dazu kommen sieben Straßenwachtfahrer die uns bei den 12 Testwochen im Jahr unterstützen. Neben fünf Monteuren stellt die Straßenwacht zwei Testfahrer. Da die Straßenwachtfahrer aus unterschiedlichen Regionen kommen, z.B. aus Hamburg, Ostfriesland, München, Bonn, Dortmund oder Mönchengladbach, können sie uns auch bei der anonymen Beschaffung der Testprodukte unterstützen. Auch die 24 Fahrer für die Verschleißmessfahrten sind nicht ganzjährig bei uns angestellt. Aber es gibt auch viele Helfer im Hintergrund. Unsere Einkaufsabteilung unterstützt uns bei der Produktbeschaffung, die Logistikabteilung organisiert die Transporte, in der Redaktion der Motorwelt arbeiten Journalisten und Grafiker an den Artikeln. Nicht zu vergessen die Kollegen aus den Partnerclubs, die natürlich an der Produktauswahl und Beurteilung beteiligt sind. Wir veröffentlichen die Reifentests in bis zu 18 verschiedenen Ländern.

Die ADAC-Reifentests sind Pflichtlektüre für die gesamte Branche und haben hierzulande häufig entscheidenden Einfluss auf den Markterfolg eines Pneus. Fahren Sie persönlich immer die Testsieger?
D.B.: Tatsächlich fahren wir auf unserem Privatfahrzeug zurzeit nur „besonders empfehlenswerte“ Reifen. Für mich sind vor allem sehr gute Nässeeigenschaften wichtig, bei Winterreifen lege ich zudem sehr viel Wert auf Schneeeigenschaften. Dafür lege ich bei Winterreifen sehr wenig Wert auf Verschleißfestigkeit, die Reifen tausche ich eher aufgrund des Alters und nicht wegen der Profiltiefe. Ich bin aber nicht auf einen bestimmten Hersteller festgelegt.

Die Anforderungen an Reifen sind im Zuge der Fahrzeugentwicklung im Laufe der Jahre stetig gewachsen. Auch die Testmethoden wurden weiterentwickelt. Wie unterscheiden sich die heutigen Reifentests von denen in zurückliegenden Tagen?
D.B.: Die Methoden wurden hauptsächlich an die modernen elektronischen Helfer im Auto und an die höheren Geschwindigkeiten, die heute möglich sind, angepasst. Der größte Unterschied zu früher besteht bei den Bremsmessungen. Wurden früher noch Blockierbremsungen durchgeführt, wird heute nur noch mit ABS getestet. Heute muss auch bei der Traktionsmessung auf Schnee auf die modernen elektronischen Helfer Rücksicht genommen werden. Da die Traktionshilfen die Räder nicht mehr so stark durchdrehen lassen, muss der Reifen die maximale Traktionskraft viel früher entfalten. Das ESP gibt ebenfalls wieder neue Möglichkeiten für Reifenentwickler, allerdings fanden wir bei unseren Tests in der Rangfolge der Reifen noch keine Unterschiede, ob wir mit oder ohne ESP testen. Ein schlechter Reifen wird mit ESP nicht besser.
Im ADAC-Reifentest haben sich Grundlegend die Tests auf trockener und verschneiter Fahrbahn geändert. Früher haben wir die Trockentests am Nürburgring durchgeführt und hatten das Handling, also schnelles Fahren im Grenzbereich, im Fokus. Heute legen wir mehr Wert auf Eigenschaften, die jeder Fahrer im täglichen Verkehr bemerkt. Zum Beispiel das Ansprechverhalten eines Reifens bei Lenkmanövern. Das schlechte Gefühl bei verzögertem Ansprechen kennt vielleicht der Ein oder Andere beim Fahren durch enge Baustellen. Wenn das Fahrzeug nur verzögert auf die Lenkbefehle reagiert, hat man plötzlich kein Vertrauen mehr in sein Fahrzeug und fühlt sich unwohl. Oder wenn die Hinterachse nicht sauber geführt wird, muss man oft am Lenkrad leicht korrigieren. Die wenigsten würden das Problem auf den Reifen schieben, aber der bleibt letztendlich das Bindeglied zwischen Fahrzeug und Fahrbahn.
Auf Schnee legen wir bei der Passfahrt heute mehr Wert auf Seitenführung, daher haben wir vor einigen Jahren unser Schneetestgelände aus dem Schweizer Engadin ins Wallis verlegt. Früher war wichtig, mit viel Traktion den Berg hinaufzukommen, heute werden deutlich mehr Ansprüche an Winterreifen gestellt. Wer schnell den Berg hoch- kommt, will ja auch sicher durch die Kurve fahren.

Welche Parameter und Voraussetzungen gewährleisten ein absolut unabhängiges und objektives Testverfahren?
D.B.: Wichtig für die Unabhängigkeit sind vor allem der Einkauf der Testprodukte, die Durchführung und Auswertung der Tests in Eigenleistung und Erfahrung. Für die Objektivität müssen alle Reifeneigenschaften geprüft werden, das Testfeld muss groß und breit gefächert sein, genügend Wiederholungen zur Absicherung gemacht werden und die Produkte sollten anonymisiert sein.
Im Detail heißt das, das Testfeld sollte das gesamte Marktspektrum abdecken, also vom teuren Premiumprodukt bis zum Billigreifen aus dem Internet, und es sollten jeweils mehr als ein Vertreter vorhanden sein. Die sog. Zielkonflikte, also Reifeneigenschaften, die konkurrieren, müssen alle gegeneinander abgeprüft werden. So stehen z.B. die Nassgriffeigenschaften in Konkurrenz mit Verschleißfestigkeit oder Kraftstoffverbrauch, runde Reifenkonturen und große Rillen sind gut bei Aquaplaning, zeigen aber Nachteile auf Eis.
Zusätzlich werden alle Reifen beim ADAC-Reifentest anonymisiert. Wir können zwar nicht das Fabrikat von der Seitenwand entfernen, aber jedes Reifenmodell bekommt eine eigene Nummer zugewiesen, anhand dieser Nummer werden alle Testergebnisse und Noten gespeichert. Die Testfahrer bekommen ebenfalls nur die Reifennummer angesagt und kennen somit nicht das Fabrikat oder Modell, das gefahren wird. Die objektiven Messergebnisse wie Bremsen oder Rundenzeiten werden mit GPS-basierten Messgeräten aufgezeichnet und können relativ einfach überprüft werden, z.B. wird beim Bremsen immer die Ausgangsgeschwindigkeit kontrolliert und der Ausgangspunkt der Bremsung. Somit wird sichergestellt, dass alle Reifen gleich behandelt werden. Bei den Rundenzeiten werden die einzelnen Runden übereinander gelegt, dadurch sieht man, ob immer dieselbe Linie gefahren wurde. Des Weiteren sind die Toleranzen für die Wiederholungen so klein, dass immer am Limit und gleichmäßig gefahren werden muss, Fehlfahrten oder Fahrfehler fallen sofort auf. Die meisten Prüfungen werden an mehreren Tagen mit unterschiedlichen Reifen wiederholt, um z.B. Temperatureinflüsse, Witterungseinflüsse oder Qualitätsunterschiede innerhalb eines Fabrikats ausschließen zu können. Zusätzlich wird die Reihenfolge beim Testen jeden Tag geändert. So fangen wir z.B. am ersten Tag mit Reifen Nr. 1 an und hören mit Reifen Nr. 20 auf. Am nächsten Tag fangen wir dann mit Nr. 20 an und hören mit Nr. 1 auf, die nächste Wiederholung fahren wir dann von Nr. 11 bis Nr. 1 und Nr. 20 bis Nr. 9, usw. Unsere subjektiven Beurteilungen werden immer von mindestens zwei verschiedenen Testfahrern abgegeben, menschliche Schwächen gibt es überall und jeder hat mal einen schlechten Tag oder einen schwachen Moment, gerade nach dem Mittagessen lässt die Konzentration nach. Damit keine Fehler gemacht werden, fährt jeder Fahrer jeden Reifen mindestens zwei Mal, danach überprüft der zweite Fahrer die Ergebnisse des ersten Fahrers noch mal. Auch hier ändern wir die Testreihenfolge. Beim ersten Mal noch von Nr. 1 bis Nr. 20, danach immer vom Schlechtesten bis zum Besten, um die jeweiligen Wettbewerber auf gleichem Niveau direkt vergleichen zu können.
Wir nutzen zwar teilweise die Teststrecken und Einrichtungen von Reifenherstellern, haben aber unser eigenes Personal, eigene Messtechnik, eigene Software zum Auswerten und natürlich die öffentlich gekauften Reifen. Auch die ganze Vorbereitung wie Reifenmontage und das Vorkonditionieren der Reifen – alle Reifen werden vor Test 500 km angefahren – findet in unserem Technik-Zentrum in Landsberg. a.L. statt.

Den zweiten Teil lesen Sie in der Februar-Ausgabe.

(kle)

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